Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN)

Beschreibung

Wie in Teil 1: Grundlagen des V-Modells bereits erläutert wurde, stellt das V-Modell für unterschiedliche Projekttypen jeweils speziell angepasste Projektdurchführungsstrategien zur Verfügung.

Die Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) kommt nur für Projekte mit dem Projekttypen Systementwicklungsprojekt (AG/AN) in Betracht, also wenn für ein Systementwicklungsprojekt keine Trennung der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite in zwei separate Projekte erforderlich ist. Dies kann gegeben sein, wenn das Systementwicklungsprojekt entweder in einer Organisation durchgeführt wird oder aber zwar mehrere Organisationen beteiligt sind, diese jedoch bewusst in einem Projekt eng zusammenarbeiten. Im Unterschied zum getrennten Systementwicklungsprojekt (AG) und Systementwicklungsprojekt (AN) entfallen somit das Ausschreibungs- und Vertragswesen sowie die doppelte Projektorganisation mit zwei Projektleitern.

Die Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) basiert auf der Grundidee, dass die Anwenderanforderungen bereits zu Beginn des Projekts relativ fest abgesteckt worden sind. Nachdem die Anforderungen im Entscheidungspunkt Anforderungen festgelegt fixiert worden sind, sind nachträgliche Änderungen an den Anforderungen lediglich über das Problem- und Änderungsmanagement sowie über den Entscheidungspunkt Iteration geplant möglich. Das System wird in einzelnen Stufen entworfen, realisiert und ausgeliefert, welche auch Inkrement genannt werden. Jede dieser Stufen wird einzeln abgenommen. Bevor ein Inkrement ausgeliefert wird, kann der Systemersteller intern mehrere Iterationen durchlaufen.

Änderungen innerhalb eines Inkrements sind bei dieser Projektdurchführungsstrategie zu vermeiden und sollten über das Änderungsmanagement im folgenden Inkrement berücksichtigt werden. Wichtige Änderungen, die beispielsweise die Architektur des Systems maßgeblich beeinflussen könnten, sollten so früh wie möglich mitgeteilt werden. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass der Anwender frühzeitig in den Besitz einer Vorstufe des Systems gelangt, die bereits die wichtigsten Grundfunktionalitäten des Systems realisiert.

Nicht nur für die Neuentwicklung kann die Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) verwendet werden. Bei der Weiterentwicklung von Altsystemen werden zudem die Anforderungen an das neue System dokumentiert, die dann in den Weiterentwicklungsprozess einfließen. Die Weiterentwicklung beziehungsweise Migration eines Systems in Wartung ist angezeigt, wenn Anforderungen an das System Auswirkungen auf die Systemarchitektur nach sich ziehen würden.

Wird das System auf eine neue Umgebung migriert, beispielsweise auf eine neue Hardwareplattform oder Laufzeitumgebung, dann ist die Grundlage der Anforderungen, die bei der Spezifikation des Gesamtsystems (System spezifiziert) im Rahmen der Altsystemanalyse ermittelten bestehenden Funktionalitäten, Anforderungen in der Änderungsstatusliste, sowie neue Anforderungen des Anwenders. Eine vollständige Migration muss nicht immer erforderlich sein. Bei einer Teilmigration verbleiben Teile des Altsystems auf ihrer ursprünglichen Plattform und das Neusystem wird über Integrationstechnologien mit dem Altsystem verbunden.

Ablauf

Abbildung 13: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN)

Die Entscheidungspunkte der inkrementellen Systementwicklung sowie der Ablauf eines Entwicklungszyklus sind in Abbildung 13 dargestellt. Im Folgenden wird anhand der durchlaufenen Entscheidungspunkte der Ablauf einer Iteration (bei der Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) gleichzusetzen mit einem Inkrement) zur Systementwicklung beschrieben:

Abbildung 14: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 1

Unter Federführung eines Sponsors wird ein Projektvorschlag erstellt, der alle notwendigen Informationen enthält, um eine Entscheidung über die Umsetzung des Vorschlags in Form eines Projekts zu treffen. Unter einem Sponsor versteht man hierbei denjenigen, der ein Budget für das Projekt bereitstellt. Der Projektvorschlag wird diskutiert und es wird entschieden, ob ein Projekt begonnen werden soll.

Abbildung 15: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 2

Wenn das Projekt genehmigt wurde, werden ein Projekt- und ein QS-Handbuch erstellt, die daraufhin untersucht werden, ob sie für die Durchführung des Projekts angemessen sind. Ziel dieser Aktivitäten ist es den Entscheidungspunkt Projekt definiert zu erreichen.

Abbildung 16: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 3

Nach der Projektdefinition werden die Anwenderanforderungen aufgelistet und einer Anforderungsbewertung unterzogen. Die Anforderungen werden auf Vollständigkeit und Korrektheit untersucht. Im Falle einer positiven Bewertung sind die Anforderungen in Form des Produktes Anforderungen (Lastenheft) aus fachlicher Sicht vorhanden und die Prioritäten festgelegt. Ziel dieser Aktivitäten ist es den Entscheidungspunkt Anforderungen festgelegt zu erreichen.

Abbildung 17: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 4

Liegen fachliche Anforderungen aus dem Produkt Anforderungen (Lastenheft) vor, so wird der Umfang der nun davon in der Iteration umzusetzenden Anforderungen geplant. Außerdem wird geprüft, ob die Produkte Projekthandbuch und QS-Handbuch das Projekt angemessen beschreiben und gegebenenfalls erfolgt eine Anpassung. Ziel dieser Aktivitäten ist es den Entscheidungspunkt Iteration geplant zu erreichen.

Abbildung 18: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 5

Im Projekt werden die eingeplanten Anforderungen evaluiert und ein erster Grobentwurf des Systems erstellt. Anforderungen und Grobentwurf werden in der Gesamtsystemspezifikation (Pflichtenheft) dokumentiert. Das Pflichtenheft ist Grundlage für die weitere Entwicklung des Systems. Wenn bei dem Projekt Weiterentwicklung und Migration eines Altsystems durchgeführt wird, wird im Zusammenhang der Gesamtsystemspezifikation (Pflichtenheft) eine Altsystemanalyse erstellt. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt System spezifiziert zu erreichen.

Abbildung 19: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 6

Ausgehend vom Grobentwurf werden Architekturen für das System sowie alle identifizierten Unterstützungssysteme entworfen. In den Architekturen werden Systemelemente bis auf die Ebene der HW- und SW-Einheiten identifiziert. Die Anforderungen werden den Systemelementen zugeordnet und spezifiziert. Der Entwicklungsprozess und die Prüfstrategie werden festgelegt. Dies kann für das System und die verschiedenen Unterstützungssysteme unabhängig voneinander geschehen, indem die folgenden Entscheidungspunkte bis zur Lieferung einzeln ausgeplant und möglicherweise zeitlich parallel durchgeführt werden. Ziel ist es, für das System und jedes Unterstützungssystem den Entscheidungspunkt System entworfen zu erreichen.

Abbildung 20: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 7

Werden im Rahmen des Systementwurfs (Entscheidungspunkt System entworfen) externe Einheiten für einen Unterauftrag identifiziert, so ist vom Auftragnehmer ein Teil-Auftraggeber-Projekt durchzuführen. Als erstes findet eine Ausschreibung statt und das erste Ziel eines Unterauftrags ist der Entscheidungspunkt Projekt ausgeschrieben. Die Entscheidungspunkte des Unterauftrags werden wie die entsprechenden Entscheidungspunkte in der Projektdurchführungsstrategie Vergabe und Durchführung eines Systementwicklungsprojektes (AG) durchgeführt.

Abbildung 21: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 8

Nach Erreichen des Entscheidungspunktes System entworfen können die Arbeiten am Feinentwurf beginnen. Für den Feinentwurf werden die Architekturen der HW- bzw. SW-Einheiten zu Komponenten und Modulen verfeinert und gegebenenfalls externe SW-/HW-Spezifikationen erstellt. Die Anforderungen werden den SW- und HW-Elementen zugeordnet. Der Entwicklungsprozess und die Prüfstrategie werden festgelegt. Hier ist es möglich, auf dem Weg zur Integration der realisierten Systemelemente den Feinentwurf von HW- bzw. SW-Einheiten zeitlich parallel zur Realisierung anderer HW- bzw. SW-Einheiten zu planen und durchzuführen. Ziel dieser Aktivitäten ist es, für jeden Parallelablauf den Entscheidungspunkt Feinentwurf abgeschlossen zu erreichen. Aufgrund möglicher Parallelarbeiten kann der Entscheidungspunkt Feinentwurf abgeschlossen in einigen Parallelsträngen bereits erreicht worden sein und mit der Realisierung begonnen werden, während in anderen Strängen noch am Feinentwurf gearbeitet wird.

Abbildung 22: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 9

Alle im Feinentwurf identifizierten HW- und SW-Elemente werden entsprechend den Anforderungen realisiert und einer Prüfung unterzogen. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt Systemelemente realisiert zu erreichen. Hierbei ist auch eine iterative Vorgehensweise möglich, bei der nach der Realisierung von einigen Systemelementen des Feinentwurfs der Feinentwurf erweitert wird. Wurden im Rahmen des Feinentwurfs externe SW-/HW-Modul-Spezifikationen erstellt, so können für die Entwicklung der SW-/HW-Module Unteraufträge vergeben werden.

Abbildung 23: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 10

Damit der Feinentwurf und die Realisierung iterativ umgesetzt werden können, ist ein Rückschritt zur Erstellung des Feinentwurfs möglich. Bei diesem Schritt werden HW- bzw. SW-Einheiten, die in der vorhergehenden Iteration im Feinentwurf noch nicht berücksichtigt worden sind, im Feinentwurf verfeinert. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt Feinentwurf abgeschlossen zu erreichen.

Abbildung 24: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 11

Alle realisierten HW- und SW-Elemente und auch die Externen Einheiten, die über Unteraufträge bezogen wurden, werden zu Systemelementen und schließlich zum System beziehungsweise zu den Unterstützungssystemen zusammengefügt. Die integrierten Elemente werden einer Prüfung unterzogen. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt System integriert zu erreichen.

Abbildung 25: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 12

Da nicht nur Feinentwurf und Realisierung, sondern auch Systementwurf und Integration iterativ durchgeführt werden können, kann eine neue Iteration für den Systementwurf geplant werden. In den Architekturen werden noch nicht umgesetzte Systemelemente bis auf die Ebene der HW- und SW-Einheiten identifiziert. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt System entworfen zu erreichen.

Abbildung 26: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 13

Das zu liefernde System wird entsprechend den Anforderungen zu einer Lieferung zusammengestellt. Eine Lieferung umfasst das Gesamtsystem, das aus dem System selbst und den Unterstützungssystemen zusammengesetzt wird, sowie gegebenenfalls eine Dokumentation. Zum Entscheidungspunkt Lieferung durchgeführt wird anhand der Ergebnisse entschieden, ob die Lieferung an den Auftraggeber zur Abnahme übergeben wird.

Abbildung 27: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 14

Die Lieferung wird vom Auftraggeber hinsichtlich der Erfüllung der Anforderungen geprüft. Zum Entscheidungspunkt Abnahme erfolgt wird vom Auftraggeber anhand der Ergebnisse entschieden, ob Nachbesserungen notwendig sind. Ziel ist es, den Entscheidungspunkt Abnahme erfolgt zu erreichen.

Abbildung 28: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 15

Wenn mehrere Iterationen bei der Systementwicklung vorgesehen sind, kann nach der Abnahme einer Iteration die detaillierte Planung der nächsten Iteration in Angriff genommen werden. Zur Planung einer neuen Iteration werden in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber alle offenen Änderungsanträge der Änderungsstatusliste geprüft. Zum Entscheidungspunkt Iteration geplant wird anhand der Liste entschieden, welche Änderungsanforderungen in die neue Iteration übernommen und welche vorerst zurückgestellt werden. Ferner wird festgelegt, welche Bestandteile, die noch nicht umgesetzt worden sind, in der neuen Iteration zu berücksichtigen sind. Die Änderungsanforderungen und die offenen Anforderungen der Gesamtsystemspezifikation sind Grundlage für einen neuen Entwicklungszyklus. Erneut wird geprüft, ob das Projekthandbuch und das QS-Handbuch das Projekt angemessen widerspiegeln. Ziel dieser Aktivitäten ist es, den Entscheidungspunkt Iteration geplant zu erreichen.

Abbildung 29: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 16

Nach der erfolgten Abnahme des erstellten Systems kann sich wieder eine neue fachliche Anforderungserhebung anschließen. In dieser können dann die nächsten fachlichen Anforderungen für die Weiterentwicklung des Systems erfasst werden. Somit kann der Umfang des Systems wieder unter Einbeziehung z.B. der Fachabteilung erhöht werden.

Abbildung 30: Projektdurchführungsstrategie Inkrementelle Systementwicklung (AG/AN) - Schritt 17

Wurden alle Anforderungen berücksichtigt und gibt es keine offenen Änderungsanträge mehr, wird entschieden das Projekt abzuschließen. Ein Projektabschlussbericht wird erstellt. Das Ziel dieser Aktivitäten ist der Entscheidungspunkt Projekt abgeschlossen.

Auswahlkriterien

Projektgegenstand

Eingebettetes System, HW-System, SW-System, Systemintegration, Komplexes System

Projektrolle

AG/AN mit Unterauftragnehmer, AG/AN ohne Unterauftragnehmer

Systemlebenszyklusausschnitt

Entwicklung, Weiterentwicklung und Migration

Fertigprodukte

Nein

Hohe Realisierungsrisiken

Nein

Das V-Modell® XT ist urheberrechtlich geschützt. © Bundesrepublik Deutschland 2004. Alle Rechte vorbehalten Dieses Dokument wurde mit Hilfe des V-Modell XT Projektassistenten erstellt. Grundlage ist das V-Modell XT.