Unser Wissen ist in der Regel unvollständig, unsicher, vage und häufig inkonsistent. In diesem Schwerpunkt geht es insbesondere um die Weiterentwicklung von Methoden, die diesen Aspekten Rechnung tragen. Außerdem wird untersucht, wie sich diese Methoden für die Lösung von bestimmten Problemtypen einsetzen lassen, die für Anwendungen im Graduiertenkolleg relevant sind. Gedacht ist dabei insbesondere an modellbasierte Diagnose sowie die Behandlung von qualitativen Präferenzen, die eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsunterstützung spielen. Da komplexe wissensverarbeitende Systeme häufig sinnvollerweise als Systeme von kooperierenden intelligenten Agenten aufgefaßt werden können, sollen auch Aspekte von Multi-Agenten-Systemen untersucht werden. Insbesondere sollen formale Modelle der Kooperation und Kommunikation in solchen Systemen entwickelt werden.
Zur Behandlung unvollständigen und inkonsistenten Wissens sind in der Künstlichen Intelligenz verschiedenartige nichtmonotone Logiken entwickelt worden, die plausibles Schließen auf der Basis von Regeln mit Ausnahmen (Default-Regeln) formalisieren [BDK97]. Diese Logiken wurden bisher in konkreten Anwendungen nur wenig eingesetzt. Das liegt zum einen daran, daß oft nicht offensichtlich ist, wie die Logiken konkret für spezielle Problemtypen verwendet werden können. Zum anderen gibt es erhebliche Effizienzprobleme, denen man nur durch eine Beschränkung der Ausdrucksmächtigkeit oder durch geeignete Approximationstechniken begegnen kann. Ein wichtige offene Fragestellung, die im Kolleg bearbeitet werden soll, ist in diesem Zusammenhang das nichtmonotone Schließen unter Ressourcenbeschränkung.
Für die Verarbeitung unscharfen bzw. vagen Wissens haben neben den traditionellen probabilistischen Ansätzen der Mathematik in den letzten Jahren Fuzzy-Methoden, speziell die Fuzzy-Logik mit ihrem Fundament in der mehrwertigen Logik, eine ständig wachsende Bedeutung bekommen. Die Forschung in diesem Bereich konzentriert sich gegenwärtig insbesondere auf:
(1) unscharfe Regler und ihre Anwendungen
(2) Grundlagen der Fuzzy-Logik mit Anwendungen auf die Theorie unscharfer Regler
(3) Darstellung und Verarbeitung unscharfen Wissens in Expertensystemen
(4) Methoden approximativen Schließens
Im Kolleg sollen die theoretischen Grundlagen dieser Methoden vertieft werden, das Schwergewicht wird also bei (2) bis (4) liegen. Insbesondere werden Gesichtspunkte der Bewertung unscharfen Wissens bearbeitet, wobei Konsistenzbewertungen eine besondere Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang sollen graduelle Konsistenzbegriffe für unscharfes Wissen eingeführt und untersucht werden.
Zur inferentiellen Verarbeitung unscharfen Wissens gibt es eine Reihe von Vorschlägen, im Rahmen des sogenannten "approximativen Schließens" aus der klassischen Logik bekannte Schlußregeln zu verallgemeinern auf Fälle, in denen unscharfe Implikationen oder unscharfe Quantifizierungen eine wesentliche Rolle spielen. Korrektheitskriterien für das Schließen mit unscharfen Schlußregeln fehlen weitestgehend. Es ist zu erwarten, daß solche Kriterien entweder auf der Basis der Fuzzy-Logik oder auf der Basis gewisser Optimalitätskriterien für den Informationstransfer gewonnen werden können.
Techniken des nichtmonotonen und approximativen Schließens sollen insbesondere für die Anwendungsprobleme des Kollegs fruchtbar gemacht werden. In diesem Zusammenhang werden Methoden zur Modellierung und Behandlung von qualitativen Präferenzen eine wichtige Rolle spielen, die insbesondere für die Entscheidungsunterstützung wesentlich sind.
Für Anwendungen in der Medizin ist die modellbasierte Diagnose wesentlich. Unsere Arbeiten in diesem Bereich werden im Kontext der Weiterentwicklung des Wissenspezifikationssystems DESIRE (Freie Universität Amsterdam) durchgeführt, das um Komponenten für modellbasierte Diagnose erweitert werden soll. Die Diagnosemethoden sollen konkret an einem System für die Diagnose von Stoffwechselerkrankungen erprobt werden, das in Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät entwickelt wird.
Ein weiteres Forschungsthema sind die logischen Grundlagen der Kommunikation und Kooperation in Multi-Agenten-Systemen. Bei der Entwicklung entsprechender formaler Modelle sollen einerseits bekannte Konzepte aus der Forschung im Bereich Datenbanken und Künstliche Intelligenz weiterentwickelt, logisch begründet und in ein hinreichend ausdrucksfähiges Gesamtsystem integriert werden. Andererseits wird es notwendig sein, ganz neue Konzepte zu formulieren und dazu philosophische Theorien der Kommunikation als Orientierungshilfe mit einzubeziehen. Die formalen Modelle sollen zu einer Klärung der Verbindung zwischen der Theorie der Informationssysteme, der Theorie der Überzeugungsrevision, der epistemischen Logik und der formalen Handlungstheorie beitragen. Diese Arbeiten sollen als Grundlage für eine Logikprogrammiersprache für Multi-Agentensysteme dienen (siehe auch Schwerpunkt B).
Mögliche Dissertationsthemen:
Nichtmonotones Schließen mit beschränkten Ressourcen
Grundlagen einer Qualitativen Entscheidungstheorie
Graduelle Konsistenzbegriffe für unscharfes Wissen
Korrektheitsuntersuchungen für das approximative Schließen
Methoden modellbasierter Diagnose am Beispiel Stoffwechselerkrankungen
Formale Modelle der Kooperation und Kommunikation in Multi-Agenten-Systemen