Klaus Beck
Von Job zu Job? Arbeit im Netz
Übersicht
1. Teleworking: Fiktionen und Fakten
2. Ziele und
Vorgehen der Studie „Der Computer als Medium
der Medienintegration“
3. Ergebnisse des Experten-Delphis
3.1 Formen der Telearbeit
3.2 Telearbeit in verschiedenen
Branchen
3.3 Telearbeiter der Zukunft
3.4 Virtuelle Unternehmen
3.5 Gesellschaftliche Folgen von
Telearbeit
4. Fazit
5. Literatur
1. Teleworking: Fiktionen und Fakten
Werfen
wir zunächst einen Blick auf die klassische Produktionsweise der
Industriegesellschaft, die ja den Ausgangspunkt der Überlegungen und Fantasien
zum Teleworking darstellt:
In
der Industriegesellschaft ging es im Kern um die arbeitsteilige Herstellung
materieller Güter bzw. Waren unter großem materiellen Einsatz von Rohstoffen,
Halbfertigprodukten und Energieträgern. Lassen Sie mich das kurz an einem
klassischen Beispiel verdeutlichen: Die Produktion von Stahl setzte voraus,
dass Eisenerz und Kohle zum Teil über sehr weite Strecken an einen Produktionsstandort
transportiert wurden, an dem dann die Stahlarbeiter unter Nutzung aufwändiger
Maschinen bzw. technischer Anlagen wie Hochöfen das Erz schmelzen und zunächst
zu flüssigem Stahl und dann in weiteren Produktionsschritten zu Eisenträgern
oder Stahlblechen (zum Beispiel für die Automobilindustrie) weiterverarbeiten.
Damit
dieser Produktionsprozess wirtschaftlich organisiert werden kann, ist eine
komplexe Infrastruktur von Eisenbahn- und Schifffahrtswegen notwendig, für
Hochöfen und Stahlwerke sind große Industriegelände unabdingbar. Niemand wäre
wohl auf die Idee gekommen, Stahl in Heimarbeit herzustellen, also Eisenerz und
Kohle in die Wohnquartiere zu transportieren und dann Stahl in der Werkstatt
eines Handwerkers oder Heimarbeiters herzustellen. Es entwickelten sich
Industriegebiete, die umgekehrt die Arbeiter anzogen und zu einer kleinen
Völkerwanderung aus den ländlichen Gebieten Deutschlands und Polens in die
Industriereviere an Ruhr und Saar führten. Lediglich in der Textilindustrie und
einigen anderen Branchen konnte sich Heimarbeit zumindest noch eine ganze Zeit
lang halten, doch auch hier erwiesen sich in der Regel bald Fabriken mit
großen, kapitalintensiven Maschinen als effizienter, aus Heimarbeits- und
Manufaktursystemen wurde eine zentralisierte Industrie.
Das
Prinzip der Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung bzw. von Standort und Wohnort
blieb allerdings auch jenseits der industriellen Produktion erhalten. Auch in
Branchen, die auf der Herstellung und dem Handel von immateriellen Gütern basierten,
also den Dienstleistungsunternehmen, z.B. Versicherungen und Banken, blieb das
Grundprinzip, dass sich Arbeitnehmer in einem Betrieb zur Arbeit „versammeln“,
erhalten. Die Gründe hierfür lagen auf der Hand: Zum einen setzt auch die
arbeitsteilig operierende Dienstleistungsbranche eine enge Koordination und
Kommunikation der Arbeitnehmer voraus. Zum zweiten erfolgte die Entlohnung der
Arbeitnehmer aufgrund der geleisteten Arbeitszeit und nicht aufgrund erbrachter
Mengenleistungen. Die Arbeitgeber hatten insofern ein berechtigtes Interesse an
der Kontrolle der vereinbarten Arbeitszeiten, und die Erfassung der Arbeits-
oder zumindest der Anwesenheitszeiten schien am einfachsten möglich, wenn die
Arbeitnehmer ihre gesamte Arbeitszeit im Betriebsgebäude verbringen mussten.
Die
Folgen dieses Systems, das im Kern bis heute besteht, kennen wir aus unseren
alltäglichen Beobachtungen und Erfahrungen:
·
Es entstanden immer größere und teurere Büro- und Verwaltungsgebäude mit
verheerenden Auswirkungen auf die Mietpreise in den Städten, die wiederum dazu
führten, dass sich die Arbeitnehmer, sobald sie es sich leisten konnten, in die
Vorstädte zogen. Die Innenstädte hingegen verödeten zusehends.
·
Nahezu alle Arbeitnehmer verbringen nun zum Teil mehrere Stunden mit der
An- und Abfahrt zum bzw. Arbeits- bzw. Wohnort. Die Folgen sind fatal:
Zubetonierte Landschaften, Emmissionsprobleme, sinkende Lebensqualität,
erhebliche Einbußen an Freizeit und beträchtliche Kosten für den Nahverkehr
bzw. das eigene Auto.
Vor
diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein solches Produktionssystem im
Bereich der Dienstleistungen noch länger sinnvoll ist, zumal moderne
Kommunikationstechniken doch das technische Potential besitzen, sowohl die im
arbeitsteiligen Prozess notwendige Koordination und Kommunikation als auch die
Arbeitszeiterfassung dezentral zu bewerkstelligen. Materielle Güter müssen in
diesen Branchen nicht mehr transportiert werden.
Die
Unternehmen würden dann die Investitions- und Unterhaltungskosten für die
Bürogebäude einsparen, sie müssten ihre Beschäftigten nicht mehr für die bloße
Anwesenheit bezahlen, sondern für die Erfüllung konkreter Arbeitsleistungen.
Sind diese je nach Auftragslage in sechs statt in acht Stunden zu erbringen,
dann lassen sich auch noch Gehaltskosten einsparen. Braucht der Arbeitnehmer
länger, ist das unter Umständen sein Problem.
Die
Arbeitnehmer müssten nicht länger wertvolle Lebenszeit (dazu noch unbezahlt)
mit dem werktäglichen Kampf gegen den Verkehrsinfarkt vergeuden, die Umwelt
könnte erheblich entlastet und die öffentlichen Mittel für die
Verkehrsinfrastruktur könnten sinnvoller eingesetzt werden. Es sieht so aus,
als ob alle beteiligten Parteien nur Vorteile von einer dezentralen
Arbeitsorganisation hätten.
Insofern
verwundert es also nicht, dass sich an die umfassende Einführung von Telearbeit
sehr große Hoffnungen knüpften und knüpfen.
Und
es verwundert auch nicht, dass es nicht erst seit Etablierung des Internet,
Überlegungen zum Teleworking gibt.
Bereits Anfang der 70er Jahre, als Computer noch große sperrige Kästen
waren, die nur von Experten bedient werden konnten, entwickelte der Amerikaner
Jack Nilles den Begriff „Telecommuting“, der noch heute in den USA für die
Telearbeit gebräuchlich ist. Die Grundidee: Nicht die Menschen sollten sich
zwischen Heim und Arbeitsstelle(n) hin- und herbewegen und dadurch
beträchtliche Energie-Ressourcen verbrauchen, sondern die Arbeitsabläufe
sollten zwischen den Menschen hin- und her „pendeln“. In Zeiten der Ölkrise
ging es vor allem darum, Energie zu sparen; da schien „Telecommuting“ ein
brauchbarer Ansatz. Seitdem hat sich das Arbeiten fernab vom Firmensitz sehr
stark verbreitet. Nicht nur in den USA, auch in Europa und Südamerika entstehen
mehr und mehr Telearbeitsplätze. Laut EU-Angaben sollen es 1998/99 in den USA
15,7 Millionen, in Großbritannien rund 1,5 Millionen gewesen sein.[1]
In Deutschland waren es nach Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft
(IW) und des Bundesforschungsministeriums zwischen 800.000 und 870.000, nach
EU-Angaben sogar 1,8 Millionen.[2]
Diese
Zahlen verdeutlichen zweierlei: Zum einen kommt es auf die Zählweise und die
zugrunde gelegte Definition von Telearbeit an. Darauf werden ich gleich
zurückkommen. Zum anderen zeigen diese Zahlen aber auch, dass erst ein Bruchteil
der Arbeitnehmer und der Unternehmen von Teleworking Gebrauch machen, obwohl
sich durch die technischen Fortschritte und den Preisverfall die
Rahmenbedingungen erheblich verbessert haben.
Es
stellt sich also die Frage, wie die Entwicklung weiter gehen wird und welche
Folgen die mögliche Verbreitung von Telearbeit haben wird. Um diese Fragen zu
beantworten, habe ich zusammen mit Kollegen eine internationale
Expertenbefragung durchgeführt, über die ich Ihnen heute berichten möchte.
2. Ziele
und Vorgehen der Studie „Der Computer als Medium
der Medienintegration“[3]
Um zu wissenschaftlich
validen Prognosen zu gelangen, haben wir eine Methode gewählt, die
international – vor allem in den USA und Japan – seit drei Jahrzehnten verwendet
wird, um das konsolidierte Gruppenurteil von Experten zu ermitteln: die
Delphi-Methode. Hierbei wird ein Panel (also eine Expertengruppe) zu einem
bestimmten Thema befragt, die Ergebnisse werden statistisch ausgewertet und in
aufbereiteter Form den gleichen Experten nochmals zur Beantwortung vorgelegt.
Da
wir uns für sehr unterschiedliche Aspekte der Zukunft des Internet und seiner
Folgen interessierten, haben wir sechs Fragebogenmodule verwendet, die jeweils
zwischen 18 und 28 Fragen unterschiedlichen Typs und Umfangs enthielten. Die
Fragebogenmodule behandelten im Einzelnen:
·
Allgemeine
Entwicklungen der Computernetz-Kommunikation
·
Information,
Unterhaltung und Spiele
·
Virtuelle
Beziehungen und Cybersex
·
Lehren
und Lernen
·
Electronic
Commerce
·
Arbeitswelt/
Teleworking
An
der ersten Befragungsrunde beteiligten sich bis Ende Oktober 1998 insgesamt 480
der 2.014 von uns angeschriebenen Experten, was mit einer Rücklaufquote von
23,8% einem für Delphi-Umfragen üblichen Wert entspricht. An der zweiten
Befragungsrunde nahmen 360 Personen teil, was eine gute Rücklaufquote von 75%
ausmacht.
Die
Studie wurde gemeinsam mit der Unternehmens- und Technologieberatung Booz,
Allen & Hamilton durchgeführt und vom Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie gefördert.
Von den insgesamt 75 Teilnehmern des Teilpanels zur Arbeitswelt dieses
Panels verfügten – laut Selbsteinschätzung – rund zwei Drittel über
Primärkenntnisse (29,3%) oder Sekundärkenntnisse (34,7%) zum Thema Telearbeit.
Lediglich vier Personen hielten sich selbst zumindest in Teilbereichen für
nicht sonderlich kompetent. Für eine valide Prognose besteht damit eine
hinreichende Grundlage.
3.
Ergebnisse des Experten-Delphis
3.1 Formen der Telearbeit
Unter dem Begriff Telearbeit werden ganz unterschiedliche Arbeitsformen zusammengefasst. Es gibt die reine
Telearbeit, bei der man ausschließlich zu Hause (oder in der
skandinavischen Variante: in einem „Telehaus“) arbeitet, die alternierende
Telearbeit, bei der man zwischen Heim- und Firmenarbeitsplatz abwechselt,
und die mobile Telearbeit, bei der man sich von wechselnden Orten aus
immer wieder in Arbeitsabläufe im Unternehmen einklinkt. Letzteres betrifft vor
allem die klassischen Außendienstmitarbeiter, für die sich im Prinzip nicht so
viel verändert.
Gegenwärtig stellen die mobilen Telearbeiter, also die Außendienstler,
in Deutschland mit 500.000 Arbeitsplätzen die Mehrheit, gefolgt von den alternierenden
Telearbeitern, die mit schätzungsweise 350.000 Stellen einen Anteil von 40%
erreichen. Reine Heimarbeiter gibt es nur 22.000, also zweieinhalb Prozent,
während die Telearbeitsplätze in Satelliten- und Nachbarschaftsbüros mit 3.500
gerade 0,4% ausmachen. Diese Zahlen könnten sich erheblich verändern, denn 20%
aller Betriebe planen die Einführung von Teleworking.[4]
Nach Einschätzung unserer Experten wird die alternierende Telearbeit im Vergleich zur reinen Telearbeit
zumindest kurz- und mittelfristig dominieren (vgl. Tab. 1). Davon sind 97,3%
der Befragten überzeugt. Zu der gleichen Einschätzung kommt auch eine
Expertenbefragung des „Forum Info 2000“ aus dem Jahr 1998.[5]
Dass die meisten Telearbeiter ausschließliche Heimarbeit ohne betriebliche
Einbindung verrichten, erwartet eine Mehrheit auch langfristig nicht.
Diejenigen, die damit rechnen, halten eine solche Entwicklung erst in ferner
Zukunft für wahrscheinlich.
Tab.
1: Formen der Telearbeit im Zeitverlauf
Prognose
bis ... |
2005 |
2010 |
2015 |
später |
Alternierende
Telearbeit, also die Kombination aus Heimarbeit und Tätigkeit im Betrieb,
bleibt die überwiegende Form der Telearbeit. |
![]() |
|||
Telearbeit
zu Hause und in völliger Loslösung von einem betrieblichen Kontext hat sich
durchgesetzt und macht den überwiegenden Teil der Telearbeitsverhältnisse
aus. |
![]() |
|||
N
= 75 = 100% |
3.2 Telearbeit in verschiedenen Branchen
Prinzipiell ist der Einsatz von Telearbeit in den unterschiedlichsten
Berufen denkbar. Sogar im sozialen oder medizinischen Bereich erscheint es,
wenigstens technisch, möglich, einen Teil der Tätigkeit über Computernetze abzuwickeln,
zum Beispiel Beratungsleistungen, spezielle Diagnostik (Telemedizin) oder das
computergesteuerte Operationsinstrument, das von einem hochqualifizierten
Spezialisten am anderen Ende der Welt bedient wird (Telechirurgie). Allerdings
wird die Telearbeit in einigen Bereichen die spektakuläre Ausnahme bleiben und
sich in anderen fest etablieren. Auch werden die einzelnen Branchen höchst
unterschiedlich von Telearbeit betroffen sein – je nachdem, wie „immateriell“
ihre Produkte und Dienstleistungen sind. Nach der Faustformel: Je stärker das
Produkt oder die Dienstleistung der „reinen Information“ nahe kommt, desto
weiter wird sich die Telearbeit verbreiten.
Folglich erwarten unsere Experten die stärkste Verbreitung der
Telearbeit im Mediensektor. Fast jeder fünfte meint, dass sie hier einen Anteil
an den Gesamtarbeitsplätzen von über 40% erreichen wird. Und knapp zwei Drittel
sind überzeugt, in den Medien werde im Jahr 2010 mindestens jeder vierte Arbeitsplatz
ein Telearbeitsplatz sein. Auch bei Banken und Versicherungen werden eine
beträchtliche Zahl von Telearbeitsplätzen entstehen, ebenso bei den „sonstigen
Dienstleistungen“, also beispielsweise Beratung oder Werbung. Hier erwarten
mehr als 40%, dass höchstens drei von vier Arbeitsplätzen von Telearbeit
unberührt bleiben werden. Dabei beurteilen die Entscheider aus der Wirtschaft
die Chancen der Telearbeit bei Banken und Versicherungen zurückhaltender als
die Wissenschaftler, während es sich bei den „sonstigen Dienstleistungen“
geradewegs umgekehrt verhält (vgl. Tab. 2).
Am unteren Ende der Skala befinden sich die traditionellen Industrien
wie Maschinenbau und die Automobilindustrie. Eine klare Mehrheit der Befragten
erwartet, dass der Anteil der Telearbeitsplätze 10% nicht überschreiten wird.
Nur ein wenig günstiger fallen die Prognosen für die Elektroindustrie aus, hier
erwarten immerhin 44% der Befragten einen Anteil über 10% (vgl. Tab. 2).
Tab. 2:
Anteil der Telearbeitsplätze im Jahr 2010 nach Branchen
|
Anteil der Telearbeitsplätze an der
Gesamtzahl der Beschäftigten |
|
|||
Branche |
bis
zu 10% |
über 10% bis
25% |
über
25% bis zu 40% |
über
40% |
|
Banken
und Versicherungen (Finanzdienstleistungen) |
12 |
30 |
21 |
10 |
|
Medien |
4 |
20 |
35 |
14 |
|
sonstige
Dienstleistungen |
9 |
33 |
26 |
5 |
|
Automobil |
56 |
12 |
4 |
1 |
|
Elektroindustrie |
40 |
23 |
6 |
4 |
|
Maschinenbau |
49 |
18 |
3 |
3 |
|
N
= 75 = 100%, k.A.: n = 2 |
Bislang sind von der Telearbeit vor allem Informations- und
Dienstleistungsberufe betroffen. Doch im Zuge der fortschreitenden
Digitalisierung und mit Hilfe elaborierter Virtual Reality-Systeme könnte in
Zukunft auch das produzierende Gewerbe betroffen sein. Maschinen und
Produktionsanlagen würden dann ferngesteuert von Arbeitern und Ingenieuren, die
sich überall auf der Welt befinden könnten, im Extremfall jeder an einem
anderen Ort. Für die Unternehmen zweifellos ein Zugewinn als Flexibilität. Sie
wären bei der Wahl ihres Produktionsstandorts nicht mehr darauf angewiesen,
dass ausreichend qualifiziertes Personal vor Ort zu Verfügung steht. Sie
könnten ihre Belegschaft ortsunabhängig zusammenstellen. Auch die Arbeits- bzw.
Betriebszeiten würden elastischer: Mit der entsprechenden Arbeitszeitplanung
könnten ferngesteuerte Produktionsanlagen rund um die Uhr laufen, ohne dass ein
einziger Beschäftigter eine Nachtschicht leisten müsste. Die Zeitverschiebung
macht es möglich. Im Dienstleistungsbereich existieren solche
„Daylight-Konzepte“ bereits. In der Regel geht es darum, wichtige
Serviceeinrichtungen mit hochqualifizierten Spezialisten Tag und Nacht
verfügbar zu halten.[6]
Unsere Experten halten die ferngesteuerte Fabrik zwar für denkbar,
allerdings erst in ferner Zukunft. Telearbeit
im produzierenden Gewerbe wird sich ihrer Ansicht nach erst deutlich nach
dem Jahr 2015 etablieren. Und 28% der Befragten sind überzeugt, dies werde nie
geschehen (vgl. Tab. 3).
Tab.
3: Telearbeit im produzierenden Gewerbe
Prognose
bis ... |
2005 |
2010 |
2015 |
später |
Telearbeit
ist nicht nur im Bereich typischer Büro- und Außendiensttätigkeiten weit
verbreitet, sondern auch im produzierenden Gewerbe: Maschinen werden mit
Hilfe von Virtual Reality-Systemen ferngesteuert etc. k. A.: n = 0 |
![]() |
|||
N
= 75 = 100% |
3.3 Telearbeiter der Zukunft
Wer wird
„tele-arbeiten“? Handelt es sich mehrheitlich um jene flexiblen
„Wissensarbeiter“ und „Symbolanalytiker“, die in einem Arbeitsmarkt, der sich
zunehmend polarisieren wird, auf der Gewinnerseite stehen, während die anderen,
die nicht online arbeiten, immer weiter zurückfallen? Werden also die typischen
Telearbeiter vor allem hochqualifizierte Tätigkeiten wie Beraten, Lehren,
Managen, Betreuen, Publizieren, Organisieren, Forschen und Entwickeln in selbst
verantworteter Art und Weise durchführen? Oder werden – im Gegenteil –
Telearbeitsplätze vor allem von Teilzeitkräften, Scheinselbstständigen,
Selbstbeschäftigern („Self-employed“) und freien Mitarbeitern besetzt, denen es
nicht gelungen ist, in der Kernbelegschaft Fuß zu fassen, die höher
qualifiziert und vor allem sozial besser abgesichert ist? Unsere Experten
neigen bei diesen Fragen zu einem recht heterogenen, breitgestreuten Urteil.
Sie schätzen den Anteil der
hochqualifizierten Erwerbstätigen an den Telearbeitern mehrheitlich
zwischen 10 und 50%. Nur jede zehnte Befragte hingegen schätzt, dass die
Hochqualifizierten unter den Telearbeitern die Mehrheit stellen werden (vgl.
Tab. 4), wobei allerdings anzumerken ist, dass auch unter den
„Präsenzarbeitern“ die Hochqualifizierten (weiterhin) in der Minderzahl sein
dürften. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der hochqualifizierte
Erwerbstätige, der seine anspruchsvollen Aufgaben selbstbestimmt organisiert,
nicht der typische Telearbeiter sein wird.
Tab. 4:
Hochqualifizierte Telearbeiter
Anteil
der hochqualifizierten Erwerbstätigen an der Gesamtarbeit der Telearbeiter im
Jahr 2010 (Antworthäufigkeiten) |
||
bis
zu 10% |
16 |
21,3% |
über
10% bis zu 25% |
22 |
29,3% |
über
25% bis zu 50% |
22 |
29,3% |
über
50% |
8 |
10,7% |
N
= 75 = 100%, k.A.: n = 7 |
In diesen
Zusammenhang gehört auch die Frage, wie sich die Telearbeit auf das Lohnniveau auswirken wird. Dabei haben
uns zwei Fragen interessiert: Werden Telearbeiter schlechter bezahlt als ihre
präsenten Kollegen? Und wird die Telearbeit irgendwelche Auswirkungen auf das
gesamte Lohnniveau haben?
Tab. 5:
Telearbeit und Lohnniveau-Entwicklung
|
Lohnniveau wird sinken |
kein Effekt |
Lohnniveau wird steigen |
||
|
um mehr als 5% |
|
|
|
um mehr als 5% |
Wird
das allgemeine Lohnniveau in ihrem Land, wenn sich die Telearbeit weitgehend
etabliert hat, steigen, sinken oder unverändert bleiben? k. A.: n = 3 |
4 |
16 |
44 |
6 |
2 |
|
Lohnniveau wird geringer sein |
kein Effekt |
Lohnniveau wird höher sein |
||
|
um mehr als 5% |
um bis zu 5% |
gleich hoch sein |
um bis zu 5% |
um mehr als 5% |
Wie
wird sich das Telearbeits-Lohnniveau gegenüber dem allgemeinen Lohnniveau
unterscheiden? |
10 |
21 |
28 |
11 |
3 |
N = 75 =
100% |
Die meisten Experten
(58,7%) neigen zu der Annahme, durch Telearbeit werde sich das Lohnniveau nicht
verändern, immerhin ein Viertel prognostiziert ein (eher verhaltenes) Sinken
(vgl. Tab. 5). Die Entlohnung der Telearbeit hingegen wird sehr uneinheitlich
eingeschätzt. Eine relative Mehrheit von 41,3% meint, die Entlohnung werde eher
niedriger sein als die der Präsenzarbeit, 37,3% prognostizieren keinen
Unterschied und lediglich 18,7% sind der Ansicht, Telearbeit werde besser
bezahlt. Ein weiteres Indiz dafür, dass Telearbeit nicht mit einer höheren
Qualifikation und entsprechender Bezahlung einhergehen wird. Insgesamt bleibt
das Bild aber etwas diffus, denn aus der Prognose lässt sich nicht eindeutig
ableiten, Telearbeit werde schlechter bezahlt. Dies sagt zwar eine relative
Mehrheit voraus, jedoch meinen noch mehr Experten, dies werde nicht der Fall
sein: Insgesamt erwarten 56% ein gleiches oder sogar ein höheres Lohnniveau
(vgl. Tab. 5). Bemerkenswert bleibt der Umstand, dass die Entscheider aus der
Wirtschaft und die Vertreter der Interessengruppen tendenziell eine niedrigere
Entlohnung der Telearbeit prognostizieren als die Wissenschaftler.
Eine Reihe von Tendenzen, die bereits jetzt wirksam sind, werden sich in
Zukunft weiter verstärken, sagen die Experten. Dazu gehört allgemein gesprochen
eine noch zunehmende Flexibilisierung
und Individualisierung der Erwerbstätigkeit.
Einerseits wird der „sichere Arbeitsplatz“ mit Beschäftigungsgarantie auf Lebenszeit
verschwinden; das Risiko, durch eine „falsche“ berufliche Ausbildung zeitweilig
im Abseits zu landen, wird steigen. Dieses Risiko kann immer weniger durch
gesellschaftliche Institutionen abgefedert werden, sondern mehr und mehr zu
einer persönlichen Angelegenheit. Risikovorsorge und soziale Absicherung
obliegen daher immer stärker dem Einzelnen. Verbindliche Vorgaben für eine geglückte
berufliche Laufbahn gibt es nicht.
Andererseits werden mit der steigenden Eigenverantwortung die Chancen und die Wahlmöglichkeiten wachsen.
Wo immer weniger vorgegeben werden kann, werden die beruflichen Laufbahnen
„durchlässiger“. Man kann sich immer wieder umorientieren, zwischen
verschiedenen Bereichen pendeln, Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und
Selbstständigkeit sind eher möglich als bisher. Die Möglichkeiten, seine
berufliche Beschäftigung selbst zu gestalten, nehmen zu. Voraussetzung ist
allerdings die Fähigkeit und Bereitschaft, lebenslang zu lernen.
Tab.
6: Anforderungen der Telearbeit
Grad
der Zustimmung zum Statement |
gar
nicht |
überwiegend
nicht |
im
wesentlichen |
völlig |
|
Das
persönliche Beschäftigungsrisiko aber auch die Wahlmöglichkeiten zwischen abhängiger
Beschäftigung, virtueller Beschäftigung und Selbständigkeit wachsen.
Erwerbstätige werden auf das erhöhte Risiko und die größere Flexibilität
durch Telearbeit mit verbesserter persönlicher Risikovorsorge reagieren. k. A.:
n = 0 |
2 |
10 |
60 |
3 |
|
In
einem von Telearbeit geprägten Arbeitsumfeld wird lebenslanges Lernen zu
einer Grundvoraussetzung, um Beschäftigung zu sichern. Die Bedeutung des lebenslangen
Lernens wird folglich weiter zunehmen. |
1 |
1 |
14 |
58 |
|
N
= 75 = 100% |
3.4 Virtuelle Unternehmen
Die Strukturen der Unternehmen werden sich – auch aufgrund der
Verbreitung von Teleworking - grundlegend verändern: Die kleinen und mittleren Unternehmen, die sich in einem hochflexiblen
Netzwerk bewegen, werden in gewissem Sinne die „Unternehmen der Zukunft“ sein,
während große Firmen ihre Bedeutung zwar keineswegs einbüßen werden, sich
jedoch umstrukturieren müssen. Um einen vergleichsweise kleinen Kern, der
strategisch von höchster Bedeutung ist, werden sich gleichsam konzentrisch
verschiedene Satellitenfirmen und
Outsourcingpartner gruppieren. Das „Leadership team“ behält die Kontrolle
über die Schlüsselbereiche des Unternehmens, die Kundendaten und die
Kernkompetenzen. Alle anderen Bereiche werden mehr oder minder stark
ausgelagert.
Über 90% der Befragten erwarten ein Erstarken von kleinen und mittleren
Betrieben, die flexibel und spezialisiert Dienstleistungen anbieten können.
Diese Entwicklung wird sich etwa bis 2010 durchsetzen. Etwas früher schon
rechnen die Experten damit, dass die großen Unternehmen viele ihrer Tätigkeiten
outsourcen werden, und zwar vor allem an selbstständige Telearbeiter. Die
Zustimmung zu beiden Szenarios ist exakt gleich (vgl. Tab. 7).
Tab.
7: Telearbeit und Unternehmensstrukturen
Prognose
bis ... |
2005 |
2010 |
2015 |
später |
Telearbeit
wird zu einer Renaissance von Klein- und Mittelbetrieben vor allem im Dienstleistungssektor
führen, da sich Telearbeiter rasch zu kleinen selbständigen Teams organisieren
können, die sich rund um eine konkrete Aufgabe ohne große Anlaufinvestitionen
gruppieren können. k. A.: n = 2 |
![]() |
|||
Große
Unternehmen werden viele Aktivitäten vor allem an selbständige Telearbeiter
(Freelancer, Selbständige, Freiberufler) outsourcen. |
![]() |
|||
Durch
Telearbeit steigt der Anteil von Teilzeitarbeitsplätzen auf insgesamt über
50%. |
![]() |
|||
N = 75 =
100% |
Zwar ist damit zu rechnen, dass Telearbeit auch den Anteil der Teilzeitarbeitsplätze erhöht. Dass
dieser Anteil jedoch auf über 50% steigt, nehmen die meisten Experten erst für
einen Zeitraum nach 2015 an. Ein Viertel der Befragten hält eine solche
Entwicklung jedoch für unwahrscheinlich (vgl. Tab. 7).
Die ersten „virtuellen Unternehmen“ sind längst Realität: „Der Kern von
Galoop Toys besteht aus lediglich 115 Mitarbeitern, die das gesamte Unternehmen
koordinieren. Galoop hat Verträge geschlossen mit Firmen, welche das Spielzeug
entwickeln, mit Werkstätten, welche die entworfenen Spielzeuge herstellen, mit
Handelsketten, welche das Spielzeug vertreiben und sogar mit einer
Inkassofirma, welche das Einsammeln der Umsatzerlöse für Galoop übernimmt. Die
Stammbelegschaft von Galoop hat lediglich die Aufgabe, die Aktivitäten der von
Galoop beauftragten Firmen untereinander zu koordinieren.“[7]
Den amerikanischen Spielwarenhersteller Galoop Toys gibt es wirklich, und er
hat die Idee des Outsourcing mit Hilfe elektronischer Medien in der Tat soweit
getrieben, dass man von einem „virtuellen
Unternehmen“ sprechen kann: Die Funktionen und Leistungen der Firma Galoop
werden mit Hilfe eines Netzwerkes von kleinen Firmen, Selbständigen und
Freiberuflern erbracht, die wiederum für wechselnde Auftraggeber projektbezogen
arbeiten. Galoop ist kein Einzelfall mehr: Der international handelnde
Sportartikelhersteller Puma verfügt zwar an seinem Stammsitz Herzogenaurach
noch über eine Firmenzentrale mit 180 Mitarbeitern, doch der Umsatz von 1,3
Milliarden DM ist das Produkt eines internationalen Netzes von Subunternehmern.[8]
Noch leichter fällt es, immaterielle Produkte – etwa Computersoftware –
weltweit verteilt produzieren zu lassen. Die Zwischenprodukte eines englisch
sprechenden Programmierers im indischen Bangalore können in Sekundenschnelle
nach München oder Seattle weitergereicht und dort weiterbearbeitet werden. Der
„Work flow“ wird 24 Stunden aufrecht erhalten, das weltweite Lohnkostengefälle
können für den globalen Wettbewerb genutzt
und die Kosten für aufwendige Bürogebäude drastisch reduziert werden.
Wenngleich also bei den Unternehmen beträchtliche
Veränderungen erwartet werden, so rechnen unsere Experten doch nicht damit,
dass sich virtuelle Unternehmen in
großer Zahl etablieren werden. Diese lose verflochtenen Netzwerke von
Arbeitsteams und unabhängigen Partnern, die kurzfristig und projektbezogen
zusammenarbeiten, um nach Abschluss des Projekts ebenso schnell wieder
auseinander zu gehen, sind nach Meinung unserer Experten nicht die Unternehmen
der Zukunft. Bis 2010 jedenfalls wird ihr Anteil weniger als ein Zehntel der
Unternehmen ausmachen, schätzt eine deutliche Mehrheit von 58,7%. Ein knappes
Drittel hält einen Anteil zwischen 10 und 20% für wahrscheinlich (vgl. Tab. 8).
Demnach werden sich die Unternehmen zwar umstrukturieren, um ein Maximum an
Flexibilität zu erreichen, und die freischwebenden Telearbeiter werden in
diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle übernehmen. Allerdings werden sie nicht
an die Stelle der Unternehmen treten, sondern eher von ihnen und ihren
Kernbelegschaften abhängig bleiben.
Tab. 8:
Virtuelle Unternehmen
Anteil der virtuellen Unternehmen an
allen Unternehmen im Jahr 2010 |
||||
|
|
über 10% bis zu 20% |
über 20% bis zu 30% |
|
Telearbeit
kann bis zum Jahr 2010 erheblich zur Virtualisierung von Unternehmen und zur
Etablierung von „Virtual Offices“ beitragen. Bitte schätzen Sie für Ihr Land
bzw. Ihre Region den Anteil der „virtuellen“ Unternehmen an der Gesamtzahl
der Unternehmen! |
44 |
23 |
5 |
2 |
N
= 75 = 100% |
3.5 Gesellschaftliche Folgen von Telearbeit
Dass der angesprochene Wandel tiefgreifende soziale Folgen mit sich
bringt, liegt auf der Hand. Eine Gesellschaft, die durch zunehmende Telearbeit,
eher kurz- als langfristige Arbeitsverhältnisse und die Auflösung stabiler
Berufsbilder geprägt wird, muss eine Vielzahl von Veränderungen verarbeiten.
Diese Veränderungen genauer zu erfassen, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung.
Wir haben uns hier auf drei mögliche Folgen beschränkt: Die Auswirkungen auf
die gewerkschaftliche Arbeit, auf den Arbeitsmarkt und auf das
Verkehrsaufkommen.
Wie erinnerlich entwickelte Jack Nilles sein „Telecommuting“-Konzept in
erster Linie, um die anschwellenden Pendlerströme zu reduzieren. Zwar steht die
Ölkrise momentan nicht auf der Tagesordnung, dafür droht der vollmotorisierten
Gesellschaft der Verkehrskollaps, weshalb das Anliegen von Nilles wieder an
Aktualität gewonnen hat. Allerdings halten unsere Experten die Auswirkung der
Telearbeit in dieser Hinsicht für recht begrenzt. Nach Ansicht einer
Zweidrittelmehrheit wird das Verkehrsaufkommen,
wenn überhaupt, um weniger als 10% (netto) sinken. Dass es stärker als 20%
abnehmen könnte, glaubt niemand (vgl. Tab. 9).
Tab.
9: Telearbeit und Verkehrsaufkommen
Netto-Rückgang
des Gesamtverkehrsaufkommens durch Telearbeit (Reduktion der Pendlerströme)
bis zum Jahr 2010 (Antworthäufigkeiten) |
||
Stagnation
oder Zunahme |
17 |
22,7% |
Rückgang
bis zu 10% |
34 |
45,3% |
Rückgang
um mehr als 10% bis 20% |
20 |
26,7% |
Rückgang
um mehr als 20% bis 30% |
0 |
0,0% |
Rückgang
um mehr als 30% |
0 |
0,0% |
N = 111
= 100%, k. A.: n = 4 |
Wesentlich
einschneidender dürften die Folgen für die Gewerkschaften sein. Die Verbreitung
von Telearbeit wird dazu führen, dass sich die Arbeitnehmer kaum noch
organisieren lassen. Der Streik als traditionelles Druckmittel zur Durchsetzung
gewerkschaftlicher Forderungen wird an Bedeutung weiter verlieren, da sich
entsprechende Aktionen von gewerkschaftlicher Seite schwerlich koordinieren und
überwachen lassen. Streikbrecher brauchen keine Sanktionen zu befürchten, da
sie für die Gewerkschaften buchstäblich nicht greifbar sind. Aber auch die
Einstellung der Telearbeiter wird sich grundlegend wandeln, ihre Interessen
lassen sich kaum noch bündeln; die Legitimationsbasis
der Gewerkschaften als Vertretung der Arbeitnehmerinteressen wird brüchig.
Das entsprechende Szenario halten mehr als 90% der Experten „im wesentlichen“
oder für „völlig“ zutreffend (vgl. Tab. 10). Gegenüber den Ergebnissen der
ersten Delphi-Runde hat sich die Prognose übrigens noch verschärft.
Tab. 10:
Telearbeit und gewerkschaftliche Interessenvertretung
Grad
der Zustimmung zum Statement |
gar
nicht |
überwiegend
nicht |
im
wesentlichen |
völlig |
Telearbeit
wird Gewerkschaftsarbeit erheblich negativ beeinflussen, da sich Arbeitnehmer
nicht mehr gut organisieren lassen, Streiks kaum mehr zu koordinieren und zu
überwachen sind und die Einstellung der Telearbeiter sich grundlegend
gewandelt hat. k. A.: n = 0 |
1 |
5 |
48 |
21 |
N = 75 =
100% |
Die Entwicklung der
computervermittelten Kommunikation und die Ausbreitung der Computernetze kann
ökonomisch als Produktinnovation und
als Prozessinnovation begriffen werden. Dies wird am Beispiel Telearbeit
besonders deutlich und erschwert zugleich die Prognose der Arbeitsplatzeffekte
erheblich: Als „Faustregel“ der Ökonomie gilt nämlich, dass Produktinnovationen
zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, während Prozessinnovationen Arbeitsplätze
vernichten.[9] Treten beide
Innovationstypen zugleich auf, wird die Prognose problematisch. Hinzu kommt,
dass unterschieden werden muss, wo zu welchem Zeitpunkt Arbeitsplätze entstehen
bzw. wo und wann Arbeitsplätze durch Rationalisierungen vernichtet werden.
Tab. 11:
Auswirkungen von Telearbeit auf den Arbeitsmarkt
Netto-Arbeitsplatzeffekte von
Telearbeit (Bezugsjahr 1997) (Antworthäufigkeiten) |
|||||
|
Arbeitsplatzverlust |
kein Nettoeffekt |
Arbeitsplatzgewinn |
||
eigenes
Land/ eigene Region |
um mehr als 10% |
unter 10% |
+/- 0 |
Unter 10% |
um mehr als 10% |
bis
2005 |
1 |
10 |
60 |
3 |
1 |
bis
2010 |
2 |
21 |
27 |
24 |
1 |
bis
2015 |
3 |
18 |
22 |
30 |
2 |
nach
2015 |
6 |
11 |
22 |
27 |
7 |
weltweit |
|||||
bis
2005 |
0 |
4 |
65 |
5 |
1 |
bis
2010 |
0 |
9 |
46 |
17 |
3 |
bis
2015 |
1 |
13 |
24 |
36 |
1 |
nach
2015 |
3 |
11 |
22 |
36 |
2 |
N
= 75 = 100% |
Deshalb haben wir
unsere Frage nach den Auswirkungen von Telearbeit auf den Arbeitsmarkt.
aufgespalten in eine Prognose für die eigene Region (im wesentlichen die Industriestaaten)
und für die weltweiten Arbeitsmarkteffekte (vgl. Tab. 11). Das deutlichste
Ergebnis unserer Befragung: Vor 2005 erwarten die Experten mit großer Mehrheit
(80%, bzw. 86,7%) keinerlei Nettoeffekt. In der globalen Prognose wird dieses
Nullsummenspiel nach Auffassung der meisten Experten sogar noch bis 2010
fortdauern. Bezogen auf die eigene Region ergibt sich für denselben Zeitraum
ein recht diffuses Bild, da ein knappes Drittel der Befragten eine Abnahme der
Arbeitsplätze, exakt ein Drittel eine Zunahme und ein gutes Drittel keine Veränderung
prognostiziert.
Langfristig jedoch verstärkt sich zunehmend die positive Tendenz, und
zwar sowohl in der eigenen Region wie auch im globalen Maßstab, wobei der weltweite
Beschäftigungseffekt insgesamt günstiger eingeschätzt wird. Dies deutet darauf
hin, dass die Experten von einer globalen Arbeitsteilung ausgehen, die zu einem
gewissen Arbeitsplatz-Export in die Nicht-Industriestaaten führt, da diese überproportional
dazugewinnen werden.
4. Fazit
Dem theoretisch
hohen Nutzenpotential von Telearbeit steht ein vergleichsweise geringer
Implementationsgrad entgegen: Telearbeit ist bislang nicht sehr weit
verbreitet, und die Prognose der von uns befragten 75 internationalen Experten
weist auch nicht auf eine rasche oder gar explosionsartige Einführung von
Telearbeit hin.
Während die
„reine Teleheimarbeit“ und die „mobile Telearbeit“ von geringerer Bedeutung
bleiben werden, dominiert die alternierende Telearbeit, also der Wechsel
zwischen betrieblicher Arbeitsstätte und vernetztem „Home-Office“, unter
denjenigen, die überhaupt Telearbeit verrichten werden.
Das vollständig „virtuelle Unternehmen“
wird von unseren Experten als weniger wahrscheinliche Vision bewertet,
allerdings halten sie ein Netzwerk von
kleinen und mittleren, innovationsfreudigen Unternehmen für zukunftsträchtig.
Die einzelnen Wirtschaftsbranchen sind von Telearbeit in sehr unterschiedlichem Maße
betroffen: Ihre Bedeutung in den traditionellen Industriebranchen (materielle
Güterproduktion) wird auch mittelfristig gering bleiben, während Medien und
Dienstleistungen mit Telearbeitsquoten von bis zu über 40% eine Vorreiterrolle
einnehmen werden.
Der
„typische Telearbeiter“ wird keine hoch qualifizierten Führungsfunktionen
einnehmen. Die Auswirkungen auf das Lohnniveau werden von unseren Experten als
geringfügig eingeschätzt, tendenziell werden eher sinkende Lohnniveaus durch
die Verbreitung von Telearbeit prognostiziert. Ebenso gering – und auch hier
mit zunächst leicht negativer Tendenz – sind die erwarteten
Beschäftigungseffekte. Die seit langem ökologisch erwünschten
Entlastungseffekte für den Verkehr werden, falls überhaupt, nur gering
ausfallen.
Insgesamt wird die Arbeitswelt einer
weiteren Flexibilisierung
unterliegen: Der Anteil der Teilzeitarbeit wird ebenso zunehmen wie die
Individualisierung der Ausbildungs- und Berufsbiographien und die Zahl neuer
Erwerbsmodelle. Wesentliche Erfolgsfaktoren auf diesem Arbeitsmarkt werden die
Bereitschaft und Fähigkeit zum „lebenslangen Lernen“ sowie die Übernahme von
Selbstverantwortung sein. Arbeitnehmerinteressen können künftig durch
traditionelle Gewerkschaftsorganisationen nicht mehr so effizient wie bislang
vertreten werden.
5. Literatur
Beck, Hanno/
Prinz, Aloys (1999): Ökonomie des Internet. Eine Einführung. Frankfurt am Main
u. New York: Campus.
Beck, Klaus/
Glotz, Peter/ Vogelsang, Gregor (2000): Die Zukunft des Internet.
Internationale Delphi-Befragung zur Entwicklung der Online-Kommunikation.
Konstanz: uvk Medien.
Brauner,
Josef/Bickmann, Roland (1996): Cyber Society. Das Realszenario der
Informationsgesellschaft: Die Kommunikationsgesellschaft. Düsseldorf u.
München: Metropolitan.
Deutscher
Bundestag (Hrsg.) (1998): Schlußbericht der Enquete-Kommission „Zukunft der
Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die
Informationsgesellschaft“. Drucksache 13/11004 vom 22. Juni 1998.
European Commission: Telework 1999. Status Report on
European Telework. Annual Report from the European Commission, September 1999. Brüssel: EU DGXIII-C2,
online abrufbar unter: http://www.eto.urg.uk/twork/
tw99/index.htm (28.2.2000).
Forum Info 2000
(Hrsg.) (1998): Arbeiten in der Informationsgesellschaft. Arbeitsgruppenbericht
1, Bonn.
Fraunhofer Institut
für Arbeitswirtschaft und Organisation (1997): Entwicklung der Telearbeit –
Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, Stuttgart: FhG.
Meyer-Timpe,
Ulrike (1998): Einsamkeit und Recht und Freiheit. Die Zeit 15.10.1998: 38.
[1] vgl. European Commission
1999: 26.
[2] Vgl.
Meyer-Timpe 1998 sowie European Commission 1999: 26.
[3] vgl. Beck/ Glotz/ Vogelsang
2000
[4] Vgl. Fraunhofer Institut für
Arbeitswirtschaft und Organisation: Entwicklung der Telearbeit –
Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, Stuttgart 1997; zit. nach Deutscher Bundestag 1998: 56.
[5] Vgl. Forum Info 2000 1998:
20.
[6] Zum Beispiel das Servicenetz
der Firma Siemens für Telekommunikationsanlagen. Hier besteht seit Ende 1997
für bestimmte Produkte ein „Daylight-Konzept“.
[7] Beck/Prinz 1999: 73.
[8] Vgl. Brauner/Bickmann 1996:
75.
[9] Beck/Prinz 1999: 83-89.